Integration Nachhaltigkeit

In der Landtagsdebatte aus Anlass des heutigen Weltfriedenstages erklärt die SPD-Fraktionsvorsitzende Katja Pähle:

„Der Weltkrieg ist vorbei. Wenn er einen Sinn gehabt haben soll, kann es nur der gewesen sein, die Völker über den Aberwitz bewaffneter Auseinandersetzungen zu belehren. Auch solche gigantischen Lehren werden jedoch rasch vergessen. Es gilt, die Erinnerung an die Leiden, das Blut, den Schmerz, das unterdrückte Menschentum wachzuhalten.“

Mit diesen Worten wandten sich im Oktober 1919, ein knappes Jahr nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, prominente Zeitgenossen wie Carl von Ossietzky und Kurt Tucholsky an die deutsche Öffentlichkeit und riefen zur Gründung des Friedensbunds der Kriegsteilnehmer auf. Dieser Friedensbund initiierte für den 1. August 1920, den Jahrestag des deutschen Kriegseintritts im Jahr 1914, den ersten Antikriegstag. Zu diesem kamen 15.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer in den Berliner Lustgarten. Am 1. August 1921 waren dort schon 200.000 Menschen.

Der Gedenktag, den wir heute begehen, hat also in Deutschland, aber auch international eine lange Tradition. Wir erkennen mit Blick auf diese frühen Anfänge aber auch: Die Mahnung und die Schrecken dieses Krieges haben nicht ausgereicht. Die Mahnung an den 1. August 1914 reichte nicht aus, um den 1. September 1939 zu verhindern – den Überfall Nazideutschlands auf Polen als Auftakt für einen weltweit geführten Raub- und Vernichtungskrieg.

Bereits seit den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts erinnern wir am 1. September daran, dass es in einem Krieg keinen Gewinner gibt, sondern nur Verlierer. Dabei ist es einerlei ob wir diesen Tag als Weltfriedenstag, wie er in der DDR bezeichnet wurde, oder als Internationalen Antikriegstag begehen, zu dem traditionell vom DGB und seinen Mitgliedsgewerkschaften aufgerufen wird.

Wir haben durch unsere Geschichte lernen müssen: Mahnung ist wichtig und unverzichtbar, aber sie muss münden in praktische Politik, in Annäherung und Entspannung zwischen den Staaten. Und in Versöhnung und Verständigung zwischen den Völkern.

Wir haben aber diesen Tag nicht zum Anlass für eine Aktuelle Debatte genommen, weil wir ganz allgemein über die Bedeutung des Weltfriedens sprechen wollten, sondern weil unser Kontinent und seine Nachbarregionen von wachsenden Konflikten herausgefordert wird und dies auch das Leben der Menschen in Sachsen-Anhalt unmittelbar berührt. Kurz: Es geht darum, dass aktive Friedenspolitik heute wieder dringend gefragt ist.

Drei große Konfliktlinien gibt es, die heute friedensgefährdend wirken:

Das ist erstens die Unterhöhlung der Europäischen Union durch grassierenden Nationalismus in einer wachsenden Zahl von Mitgliedsländern. Die Schaffung der Europäischen Union ist die historische Antwort auf die über die Jahrhunderte währende, immer wiederkehrende Verwüstung großer Teile des Kontinents durch blutige Kriege zwischen den Nationalstaaten. Die Einigkeit Europas ist zudem ein wichtiger Stabilitätsanker für die internationale Politik weit über den Kontinent hinaus.

Es waren insbesondere Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, die den Bezug auf das vereinte Europa von Beginn an im Grundgesetz verankert haben – einschließlich der Möglichkeit zur Übertragung von Hoheitsrechten auf zwischenstaatliche Einrichtungen. Durch völkerrechtlich bindende Verträge haben sich Deutschland und alle seine Nachbarn darauf verpflichtet, dass das gemeinsame Europa eine immer enger werdende Union sein soll.

Der Friedensanker der Europäischen Union wird heute durch viele zentrifugale Kräfte gefährdet: ob das aus engstirnigen Finanzinteressen geschieht wie in Großbritannien oder mit nationalistischem Getöse wie in Ungarn, ob durch das Schüren von Rassismus wie durch die extreme Rechte in Frankreich oder durch Angriffe auf den Rechtsstaat wie in Polen.

Wir werden dem nicht tatenlos zusehen. Es gibt keinen „Nationalismus light“.

Das Projekt Europa gehört seinen Bürgerinnen und Bürgern, die in allen Ländern der EU davon profitieren. Wir müssen gemeinsam dafür einstehen, dass dieses gemeinsame Europa dauerhaft Bestand hat, dass es demokratischer und bürgernäher wird und dass es als Garant für Vielfalt, für sozialen Ausgleich und für wirtschaftliche Entwicklung funktioniert.

Die zweite große Herausforderung sind die anhaltenden Spannungen mit Russland. Um es vorweg zu sagen: Niemand von uns will völkerrechtswidrige Übergriffe wie die Annexion der Krim legitimieren. Niemand will Provokationen gegen Nachbarstaaten Russlands hinnehmen. Niemand will schweigen, wenn in Russland gegen rechtsstaatliche Prinzipien verstoßen wird.

Aber wir müssen auch einräumen: Wir haben dankend angenommen, dass die Sowjetunion 1990 mit dem Zwei-plus-vier-Vertrag die deutsche Einheit mit ermöglicht hat – eine historische Leistung von gar nicht zu unterschätzenden Ausmaßen. Als die Sowjetunion und das von ihr dominierte Staatensystem zerfielen, haben die Staaten in West- und Mitteleuropas sich darum gekümmert, alles in die EU zu integrieren, was sich integrieren ließ – auch eine wichtige und richtige historische Leistung.

Aber ein System der kollektiven Sicherheit, das ganz Europa und damit auch Russland umfasst – darum hat sich die deutsche und europäische Politik seit 1990 nicht ernsthaft bemüht.

Wir brauchen jetzt eine Politik, die Spannungen abbaut und nicht vermehrt. Kein Säbelrasseln, keine Aufrüstung, keine dauerhaft an der russischen Grenze stationierten NATO-Soldaten.

Wir brauchen eine Politik des Dialogs, die gezielt darauf ausgerichtet ist, dass die wirtschaftlichen Sanktionen zurückgenommen werden können.

Wir brauchen wieder eine Politik, die sich an dem von Egon Bahr formulierten Grundsatz des „Wandels durch Annäherung“ orientiert. Das sind wir dem Frieden in Europa schuldig, und ich bin froh und beeindruckt, wie Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier diesen Weg verfolgt.

Die dritte große Herausforderung für den Frieden in Europa ist der Krieg selbst: der Krieg, der vor unseren Toren täglich stattfindet, nicht nur in Syrien, der derzeit im Zentrum der Medienaufmerksamkeit steht, sondern auch immer noch im Irak, im Jemen, in Afghanistan, in Libyen – nicht zu vergessen die anhaltend instabile Lage rund um Israel und Palästina.

Opfer dieser Kriege sind zu Hunderttausenden in unser Land gekommen. Uns um sie zu kümmern, ist unsere gemeinsame humanitäre Pflicht. Der Versuch, die Flüchtlingsbewegung dadurch einzugrenzen, dass die Türkei den größten Teil der Menschen bei sich behält, war bisher erfolgreich. Zur Zeit sieht es aber so aus, dass die Türkei eher Teil des Problems als Teil der Lösung ist.

Es führt deshalb kein Weg daran vorbei: „Fluchtursachen bekämpfen“ darf keine Floskel sein. Wir müssen aktiv mithelfen, den Weg zur Versöhnung zu bahnen. Das Friedensabkommen in Kolumbien zeigt uns gerade, dass es auch nach Jahrzehnten des bewaffneten Kampfes, Hunderttausenden Toten und Millionen von Vertriebenen möglich ist, einander die Hand zu reichen.

Und ich sage auch: Deutschland und Europa wären schon ein großes Stück glaubhafter als Vermittler und Friedensstifter, wenn wir nicht mehr zulassen würden, dass unsere Rüstungskonzerne am Leid der Menschen verdienen. Dass Milizen und Terroristen an deutschen Waffen das Töten lernen. Dass Regime mit Waffen versorgt werden, die dubiose Verbindungen zu Al-Kaida und zum IS unterhalten.

Die Linke hat aus Anlass des Weltfriedenstages einen Antrag eingebracht. Ich halte es für gut, ihn zur weiteren Beratung zu überweisen, weil es darin Punkte gibt, die man nicht im Rahmen einer Landtagsdebatte ausführlich darlegen kann, zum Beispiel die kommunale Mitwirkung bei Konversionsprojekten.

Ich sage aber auch, dass wir in der Frage von internationalen Bundeswehreinsätzen eine unterschiedliche Auffassung als die Linke haben. Ich nehme mit Interesse zur Kenntnis, dass über diese Frage in Ihrer Bundestagsfraktion gerade eine Debatte aufgebrochen ist, und ich bin gespannt, wo sie in den nächsten Jahren hinführen wird.

Ich möchte abschließend noch einmal auf die Gedenkfunktion des Weltfriedenstages zurückkommen. Der 1. September ist insbesondere auch Anlass, jeder Form von Geschichtsrevisionismus entgegen zu treten. Wer die Ursachen von Kriegen nicht kennt, läuft Gefahr, in den nächsten hineinzugeraten. Wer die historischen Ursachen von Kriegen und das Ausmaß der begangenen Verbrechen leugnet, der hilft mit, neue Kriege vorzubereiten.

Wir haben mit Abscheu verfolgt, dass die AfD-Landtagsfraktion in Baden-Württemberg bewusst und willentlich einen antisemitischen Hetzer in ihren Reihen duldet. Und wir beobachten die Annäherung zur Identitären Bewegung, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Wenn sich die AfD-Fraktion in diesem Haus nicht unmissverständlich und geschlossen davon distanziert, brauchen Sie uns nicht mit Forderungen nach parlamentarischer Gleichbehandlung zu behelligen. Wer Antisemitismus und Rassismus in seinen Reihen duldet, stellt sich kollektiv außerhalb des demokratischen Spektrums.